Die österreichische Lyrikerin, Exilforscherin und Historikerin Siglinde Bolbecher ist tot - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Women + Work



AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 18.07.2012


Die österreichische Lyrikerin, Exilforscherin und Historikerin Siglinde Bolbecher ist tot
Christiana Puschak

Sie starb am 06. Juli 2012 im Alter von 60 Jahren. Beharrlich hatte sie sich jahrelang gegen das Vergessen der ins Exil vertriebenen Schriftstellerinnen und Künstlerinnen eingesetzt. Wer sich mit..




... der Exilliteratur Österreichs befasst, wird unweigerlich auf ihren Namen stoßen.

Am 18. Juni 1952 in Wien geboren, studierte Siglinde Bolbecher an der Universität Wien Theaterwissenschaft, Anglistik, Geschichte und Philosophie. Anschließend war sie Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands. Mit unermüdlichem Engagement widmete sie sich seit Ende der 70iger Jahre den ins Exil vertriebenen Schriftstellerinnen und Künstlerinnen und ihren Werken. Sie kämpfte dafür, dass die vergessene Literatur der von den Nazis Vertriebenen wieder ihren Platz im Bewusstsein der Menschen bekam. So entstanden Arbeiten zu Stella Kadmon, Elisabeth Freundlich, Stella Rotenberg, Grete Oplatek, Eva Kollisch, T. Scarlett Epstein. Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Konstantin Kaiser gründete sie die Theodor Kramer Gesellschaft, gab das Lexikon der Österreichischen Exilliteratur heraus wie die international renommierte Zeitschrift "Zwischenwelt", vormals "Mit der Ziehharmonika".

Sie organisierte zahlreiche Symposien, Tagungen und Lesungen darunter "Subjekt des Erinnerns?", arbeitete an der Buchreihe "Antifaschistische Literatur und Exilliteratur" mit und unterstützte mit Tatkraft die Herausgabe einer neuen Reihe unter dem Titel "anders erinnern". 2009 erschienen Gedichte von ihr in der Anthologie "Widerstand und Freiheitskampf".

Niemals war ihre Herangehensweise allein von wissenschaftlicher Distanz getragen, sondern stets von menschlichem Interesse an den Lebensverhältnissen der Exilantinnen und Exilanten.

Als besonders verdienstvoll anzusehen ist, dass sie von Beginn an Frauen, die ins Exil mussten, mit in den Fokus ihrer Arbeiten stellte. Diesem Manko der Geschichtsschreibung und Literaturwissenschaft setzte sie mit ihren Geschlechtsgenossinnen schriftliche Zeugnisse entgegen wie Aufsätze, Buchreihen oder den Sammelband "Frauen im Exil", in dem Schriftstellerinnen, bildende Künstlerinnen wie Wissenschaftlerinnen selbst zu Wort kommen oder von kompetenten Forscherinnen porträtiert werden. 2002 war es ihre Idee, innerhalb der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung eine Frauen–AG zu gründen, deren Vorsitzende sie seitdem war. Aus ihr gingen und gehen spannende frauenspezifische Aktivitäten hervor.

Am 21. März 2012 wurde Siglinde Bolbecher im Parlament in Anwesenheit vieler Freundinnen und Freunde das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich übergeben, nur eine von vielen Würdigungen ihrer Arbeiten.
Über ihre Aufklärungsarbeit sagte sie einmal, dass "diejenigen, die Gesetze und Verordnungen gegen Flüchtlinge dekretieren, die Geschichte des Exils kennen sollten".

Weitere Informationen finden Sie unter:
www.theodorkramer.at
www.exilforschung.ac.at

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"Der Umbruch" von Alice Rühle-Gerstel

"Zum Theater" von Lili Grün

"Die Karrieren der Vicki Baum" von Nicole Nottelmann

"Verfemt, Verboten, Verbrannt und oft Vergessen"

Die Gastautorin Christiana Puschak ist Mitglied der Theodor Kramer Gesellschaft wie der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung (öge) und Teilnehmerin des Symposions "Subjekt des Erinnerns" sowie Rezensentin einzelner Bücher der Buchreihe "anders erinnern".

Quellen:

diestandard.at

www.wirfrauen.de


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Beitrag vom 18.07.2012

AVIVA-Redaktion